Das Huawei P9 ist das erste Smartphone mit einer eingebauten Leica-Kamera. Wir haben im Praxis-Check die Kamera mit der des iPhone 6S verglichen. Und das Huawei P9 zeigt viel Licht und Schatten.
Ohne der neuen Dual-Kamera auf seiner Rückseite wäre das Huawei P9 wohl nur ein Smartphone unter vielen. Doch das Besondere des Huawei P9 ist eben diese Kamera, denn diese stammt von keinem geringen als Leica. Und wenn dieser traditionsreiche Kamera-Hersteller, dessen Kompaktkameras mehrere tausend Euro kosten, sich dazu entschließt, eine Smartphone-Kamera zu entwickeln, dann muss das schon Hand und Fuß haben. Da Leica keine eigenen Smartphones baut, hat sich das deutsche Unternehmen den chinesischen Smartphone-Hersteller Huawei als Partner gewonnen. Das Huawei P9 ist das erste Produkt dieser Partnerschaft. Entsprechend hoch sind die Erwartungen.
Wir haben die Fotoqualität des Huawei P9 mit der iSight-Kamera des iPhone 6S verglichen. Die gleiche Kamera kommt übrigens auch im iPhone SE zum Einsatz, da sich etwas unter dem Preisniveau des Huawei PP9 bewegt.
Die technischen Eckpunkte der Leica-Kamera
Die beiden Kameras auf der Rückseite des P9 lösen jeweils 12 Megapixel auf und bieten eine Brennweite von 27 mm (im Vergleich zum Kleinbild-Format). Die Blende ist mit F2.2 eben so Lichtstark wie die iSight-Kamera des iPhone 6S.
Die Front-Kamera, gedacht vorwiegend für Selfies, bietet mit 8 Megapixel genügend Auflösung. Die Lichtempfindlichkeit des Objektivs ist mit F2,4 etwas geringer als die der rückwärtigen Kamera. Die Front-Kamera des iPhone 6S bietet dagegen nur 5 Megapixel, dafür mit F2.2 ein etwas lichtstärkeres Objektiv.
Obwohl sowohl die iSight-Kamera des iPhone wie die Dual-Cam des Huawei P9 eine Auflösung von 12 Megapixel bieten, sind die Fotos des iPhone größer. Sie messen 4032 x 3024 Pixel, die Fotos der P9 sind mit 3968 x 2976 Pixel marginal kleiner.
Videos nimmt die Huawei P9 nur in HD-Auflösung von 1920 x 108 Pixel auf, das iPhone 6S unterstützt dagegen sogar 4K-Videos mit einer Auflösung von 4096 × 2160 Pixel.
Panasonic Lumix CM1
Das Huawei P9 ist nicht das erste Smartphone, auf dem auch Leica steht. Denn das war die Panasonic Lumix CM1, die
2014 auf der Photokina der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Allerdings hat Leica lediglich das 28-mm-Objektiv (äquivalent Kleinbild-Format) für die Lumix CM1 beigesteuert, die Kameratechnik selber kommt von Panasonic. Bemerkenswert ist der sehr großflächige Bildsensor der CM1, der verantwortlich für die große Kamera-Einheit ist. Vielmehr ist die Lumix CM1 eine Kamera, mit der man auch telefonieren kann. Eine ähnliche Symbiose zwischen Kamera und Android-Betriebssytem hatte Samsung mit der Kompaktkamera Galaxy Camera 2012 vorgestellt. Diese Kompaktkamera verwendet ein Android-Betriebssystem und über Mobilfunk kann man die Bilder via LTE-Internetverbindung übertragen. Nur telefonieren kann man mit der Galaxy Camera nicht.
Das Besondere an der Kamera
Die Dual-Kamera auf der Rückseite des Huawei P9 ist eine wirkliche Neuerung. Beide Kameras ermöglichen es in Kombination, Bilder mit sehr geringem Schärfebereich zu erstellen. Bei solchen Bildern kann man den Vordergrund scharf abbilden, während der Hintergrund unscharf verschwimmt.
Dieser geringe Schärfebereich ist beispielsweise mit ausgewachsenen Spiegelreflex-Kameras möglich. Denn je großflächiger ein Bildsensor ist, desto stärker ist der Unschärfe-Effekt beziehungsweise desto geringer ist der Bereich des Bildes, der scharf dargestellt werden kann. Die optischen Gesetze lassen dies bei kleinflächigen Bildsensoren, wie es die Smartphones bieten, nicht zu. Um dennoch diesen Effekt zu erhalten, bedienen sich die Leica-Ingenieure eines Tricks.
Eine der beiden Kameras nimmt die Fotos in Farbe auf, die zweite in Schwarzweiß. Zudem sollen die Entfernungsinformationen mitgespeichert werden. Anhand dieser Informationen kann die Bildbearbeitung des P9 den Unschärfe-Effekt berechnen.
Lichtfeldkamera von Lytro bald im iPhone?
Vor ein paar Jahren sorgte die Lytro-Kamera für Aufsehen. Denn dies ist die erste Kamera, bei der man den Fokuspunkt auch nach der Aufnahme ändern kann. Dazu bedient sich die Lytro-Kamera den optischen Tricks des sogenannten Lichtfeld. Das bedeutet, dass man den Fokuspunkt bei der Lytro-Kamera tatsächlich aufgrund optischer Informationen ändern kann, die das Bild enthält. Die Nachteile dieser Technik: Die Dateigrößen der Bilder sind sehr hoch, die Auflösung allerdings niedrig. Zudem ist die Kamera für das interaktive Betrachten am Bildschirm gedacht (siehe Galerie von Lytro), ein Konzept, das nicht die Zustimmung einer breiten Masse gefunden hat.
Interessant ist, das Apple bereits 2011 ein eigenes Patent einer Lichtfeld-Kamera angemeldet hat, das in einem iPhone Verwendung finden soll (siehe News Macwelt). So soll es auch möglich sein, den Fokus-Punkt von iPhone-Aufnahmen nachträglich zu ändern. Gerüchten zufolge könnte zudem das kommende iPhone 7 ebenfalls mit einer Dualcam ausgestattet sein könnte. Huawei hat mit dem P9 gut vorgelegt und andere Hersteller werden sicherlich darauf reagieren.
Fokuspunkt nach der Aufnahme wählen
Dank den beiden Kameras und Hilfe von interner Bildbearbeitung kann man mit der Kamera-App des Huawei P9 den Fokus-Punkt auch nach der Aufnahme ändern. Dabei simuliert die Software Blendenöffnungen im Vergleich zum Kleinbild-Format von F0,95 bis F16. Bei der größten Blendenöffnung (F0,95) beträgt der Bereich, der scharf dargestellt werden kann, nur wenige Zentimeter. Und bei maximal geschlossener Blende von F16 erhält man den größten Schärfebereich, gerne verwendet in der Landschafts- und Makrofotografie.
Für eine Aufnahme mit diesem Unschärfe-Effekt wählt man das Blenden-Symbol, das die Kamera-App oben anzeigt. Die Einschränkung: Solche Aufnahmen mit dem Unschärfe-Effekt lassen sich nur im normalen Belichtungs-Modus erstellen. In allen anderen Modi wie HDR-Aufnahme, Panorama oder mit den manuellen Einstellungen ist diese Option nicht nutzbar. Ebenso lässt sich der Unschärfe-Effekt nicht mit Videos verwenden.
Auffällig im Test ist, dass ein Motiv, das auf einer Schärfenebene liegt, nicht durchgängig scharf abgebildet wird. Vielmehr erstellt die Kamera-App eine Maske mit einem weichen Übergang an den Rändern. Hier kann Leica noch nachbessern um eine bessere Maskierung der Motive zu erreichen.
Da die Kamera für diese Berechnung zwei Aufnahmen braucht, die miteinander verrechnet werden, ist der Platzbedarf eines solchen Fotos doppelt so groß wie normal. Nachdem man ein Bild mit dem Unschärfe-Effekt aufgenommen hat, kann man nachträglich in der Kamera-App des Huawai P9 den Fokuspunkt ändern und verschiedene Versionen speichern.
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Nachträglich lässt sich der Fokuspunkt am Smartphone einstellen. Das ist auch für mehrere Versionen eines Fotos möglich.
Aufnahmen bei schlechten Lichtverhältnissen
Viele Fotos, die man mit einem Smartphone erstellt, entstehen bei schlechten Lichtverhältnissen in Räumen oder in der Nacht. Hier erzielt die Huawei P9 deutlich bessere Ergebnisse als das iPhone 6S. Das hat zwei Gründe: Je großflächiger der Sensor, der ein einzelnes Pixel aufnimmt, desto rauscharmer werden die Fotos bei schlechten Lichtverhältnissen. Hier hat das Huawei P9 gegenüber dem iPhone schon alleine aus diesem Grund einen Vorteil: 1,25 µm breit ist ein einzelner Sensor der P9-Kamera, der einen Pixel aufnimmt. Beim iPhone ist er mit 1,22 µm etwas kleiner. Der weitere Vorteil: Dank der Dualcam kann die Huawei P9 eine effektivere Rauschunterdrückung auf ein Bild anwenden. In der Praxis sind die bei schlechten Lichtverhältnissen aufgenommenen Fotos vom Huawei P9 sichtbar besser als die des iPhone 6S.
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Aufnahme bei wenig Licht. Links: Huawei P9. Rechts: iPhone 6S
Schwarzweiß-Foto
Eine der beiden rückwärtigen Kameras nimmt die Fotos nur in Schwarzweiß auf. Und so ist die Huawei P9 auch gut gerüstet für eine native Aufnahme von Schwarzweiß-Bildern. Leica kann hier seine Erfahrung einbringen, denn der deutsche Kamerahersteller hat mit der Leica M Monochrome selber eine rund 7000 Euro teure Kamera im Portfolio, die nur für Schwarzweiß-Aufnahmen gebaut ist. Sprich, gar keine Farbbilder aufnehmen kann.
Das ähnliche Prinzip der Leica M Monochrome kommt auch der Huawei P9 zugute. Denn durch den Verzicht des Farbfilters für die Schwarzweiß-Kamera trifft mehr Licht und damit mehr Bildinformationen auf den Bildsensor. Denn ein Bildsensor kann von Haus aus nur Schwarzweiß-Bilder aufnehmen, erst durch den Einsatz von Farbfiltern erhält die Kamera die Farbinformationen.
Wer also mit der Huawei P9 Schwarzweiß-Bilder aufnimmt, der erhält mehr als ein Farbbild, auf das die Kamera-App ein SW-Filter legt. Das Ergebnis
Pro und Contra der Kamera des Huawei P9
+ Super Unschärfe-Effekt
+ Bessere Fotoqualität als iPhone 6S bei wenig Licht
+ Bessere Schwarz-Weiß-Bilder als iPhone 6S
+ Schneller Autofokus
+ Manuelle Wahl von Zeit/ISO/Belichtungskorrektur und Weißabgleich
– Schlechte Panorama-Funktion mit Fehlern in Übergängen
– Schlechtere HDR-Funktion gegenüber iPhone 6S
– Nur Full-HD-Video (1080p), während das iPhone 4K-Videos mit 30 fps unterstützt
– Zeitraffer-Funktion vom iPhone 6S ansprechender
– Unschärfe-Effekt nicht in allen Modi nutzbar
Bildqualität im Vergleich zum iPhone 6S
Fotografiert man mit beiden Kameras im normalen Modus, dann sind die Bildergebnisse des Huawei P9 und des iPhone 6S auf Augenhöhe. HDR-Aufnahmen mit dem Huawei P9 geraten im Vergleich zum iPhone 6S flauer und teilweise mit störendem Farbstich. Deutliche Stitching-Fehler fallen uns bei der Panorama-Funktion des Huawei P9 auf, während das iPhone 6S die gleiche Szene fehlerfrei zu einem Panorama zusammensetzt. Die Stärken der Leica-Kamera des Huawei P9 sind allem der Fokus-Effekt sowie die Aufnahmen bei schwachem Licht und im Schwarzweiß-Modus.
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Normaler Aufnahmemodus. Links: Huawei P9. Rechts: iPhone 6S
Fazit Fotoqualität des Huawei P9
Unser Praxis-Test mit dem Huawei P9 hat gezeigt, dass die eingesetzte Leica-Kamera mehr als nur ein Marketing-Gag ist. Die Ergebnisse mit dem Fokus-Effekt sind zwar noch nicht perfekt, aber für Smartphone-Fotografen einmalig und durchaus sehenswert. Hier und da sollte Huawei beziehungsweise Leica noch an der Bildnachbearbeitung feilen, vor allem die Panorama-Funktion ist noch stark verbesserungswürdig. Doch insgesamt ist der Start des ersten Smartphones mit einer Leica-Kamera gut gelungen.
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Ausschnitt aus einem Panorama, links Huawei P9, rechts iPhone 6S: Panoramen gelingen dem Huawei P9 nicht gut. Deutlich besser ist hier das iPhone 6S
Partnerschaft zwischen Huawei und Leica
Seit 100 Jahren stehe Leica nach eigenem Bekunden für anspruchsvolle Fotografie, beste Bildqualität und deutsche Ingenieurskunst, und das ist sicherlich nicht übertrieben. Der chinesische Hersteller Huawei verkaufte 2015 stolze 100 Millionen Smartphones und zählt so zu dem drittgrößten Smartphone-Hersteller weltweit.
Smartphone-Fotografie wird immer wichtiger
Auf den ersten Blick wirken die Unterschiede der beiden Unternehmen groß. Doch Oliver Kaltner, CEO der Leica Camera AG in einer Leica-Pressemeldung meint:
Unsere beiden Unternehmen verbindet nicht nur die Innovationskraft und der Premiumanspruch, sondern auch die Verpflichtung zu kompromissloser Qualität.
Leicas Motivation ist klar: Die Smartphone-Fotografie hat schon längst das einzige Brot-und-Butter-Geschäft der Kamerahersteller kaputt gemacht. Denn mit Kompaktkameras machten Canon, Nikon und Co keine Geschäfte mehr. Und Premium-Kameras alleine können diese Lücke nicht schließen.
Doch Leica ist eine Premium-Marke, die von dieser Misere der Kamera-Hersteller kaum betroffen ist. Dennoch kann sich auch Leica den Trend hin zur Smartphone-Fotogrfie nicht verschließen. Und daher ist es ein logischer und richtiger Schritt, dass Leica sich im Bereich der Smartphones engagiert.