Seit Jahrzehnten fotografiere ich Konzerte aller Art. Ich möchte meine langen Erfahrungen mit dem Thema Konzertfotografie mit Dir teilen und ein paar, hoffentlich wertvolle Tipps und Anregungen geben.
„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran“, war Robert Capas Maxime, die ich gerne teile. Beim Thema Konzertfotografie, eines meiner ganz großen fotografischen Leidenschaften, erst recht. Doch bevor ich mit meinen Erfahrungen und Tipps starte, zunächst ein paar Impressionen.
Fotografische Chancen in kleinen Hallen
Lehrgeld in Form schlechter Bildausbeute zahlte ich zunächst in jungen Jahren: Ich besuchte Konzerte von Jethro Tull, Joe Cocker oder Genesis in großen Konzerthallen. Davon einmal abgesehen, dass man in den 70er Jahren noch ungehindert mit seinem reichhaltigen Fotoequipment – solange kein sperriges Stativ dabei war – den Eingang passieren durfte, konnten selbst mit einem Teleobjektiv von einem Rang aus oder in der brodelnden Arena eingezwängt zwischen den Fans stehend, kaum ansprechende Aufnahmen gelingen. Die guten Schüsse blieben meist den akkreditierten Pressefotografen vorbehalten, die bei solchen Konzerten für ein oder zwei Stücke der Künstler an die Bühne vorgelassen wurden. Also ging ich fortan ohne Kamera in Konzerte, zum ausschließlichen akustischen und optischen Genuss des Augenblicks.
Erst Jahre später entfachte meine Leidenschaft für Fotos rund um die Musik wieder aufs Neue, durch ein paar glückliche Fügungen: Mein Sohn Lars Groeneveld wurde Jazz-Musiker. Mit der Kamera durfte ich während seiner musikalischen Ausbildung so manches Prüfungskonzert begleiten; heute freue ich mich über jeden Gastauftritt seiner verschiedenen Formationen zu unterschiedlichsten Anlässen. Meistens finden diese in kleinen, intimen Etablissements statt. Mein Platz ist dabei stets nahe an der Bühne, die in kleineren Konzerträumen ohnehin nicht sehr hoch ist. Das Praktische dabei: Das Arbeiten an den Motiven findet sozusagen fast immer auf Augenhöhe statt, wie im unteren Bild zu sehen. Allerdings achte ich stets darauf, dem Publikum allenfalls für einen kurzen Moment die Sicht zu versperren. Ich kann häufig meine Position wechseln, was ein bedeutender strategischer Vorteil gegenüber dem festen Sitz- oder Stehplatz bei einem Promi-Konzert ist.
Fette Fotobeute bei der Generalprobe
Ein weiterer Zufall verhalf mir zu kleinen Fotoaufträgen rund um die Musik, sogar mit einer gewissen Beständigkeit: Das Argeter Blasorchester ist in meiner Heimatgemeinde im Landkreis München ansässig und benötigt immer wieder aktuelle Fotos von seinen Auftritten. Bei konzertanten Veranstaltungen des Orchesters in der örtlichen Mehrzweckhalle wäre ich als Fotograf an der Bühne ein klarer Störfaktor für das Publikum. Denn ich möchte nicht ein paar Erinnerungsaufnahmen von meinem Sitzplatz aus machen, sondern mit meiner Fotografie der Musik und der Leidenschaft der Menschen, die musizieren durch ausdrucksstarke Aufnahmen gerecht werden. Dazu benötige ich maximale Bewegungsfreiheit, um die Akteure in den unterschiedlichsten Perspektiven fotografisch festhalten zu können.
Um mir das zu ermöglichen, habe ich mit der musikalischen Leitung die Vereinbarung getroffen, stets die Generalprobe zu fotografieren. Zur Generalprobe am Vortag des eigentlichen Konzertes herrscht an der Original-Location bereits Konzertatmosphäre, ohne Publikum: Die Bühnen-Deko ist aufgebaut, das Bühnenlicht ist final eingestellt und vor allem erscheinen alle Mitwirkenden zu diesem Termin in ihrer Konzertkleidung. Das ermöglicht es mir mit der Kamera auf der Bühne zu arbeiten, um Übersichten des Orchesters zu erzielen, wie auch Einzelporträts von Musikerinnen und Musikern aus der zweiten oder dritten Reihe. Es ist mir sogar möglich, erhöht auf einer kleinen Trittleiter stehend auf der Bühne zu agieren, um Details aus der Gruppe herauszulösen und außergewöhnliche Perspektiven zu realisieren.
Meine Tipps zu gelungener Konzertfotografie
Für wirkungsvolle Konzertfotografie stellen sich immer wieder die gleichen Anforderungen: Das Bühnenlicht in die Bildgestaltung mit einbeziehen, plus eventuellem Aufhellblitz, den Bildausschnitt wählen und den entscheidende Moment abpassen.
Das Licht muss in der Regel als gegeben hingenommen werden, was auch durchaus dazu führen kann, im ungünstigen Fall auf eine Aufnahme zu verzichten. Der Aufhellblitz kann aber häufig über kritische Situationen hinweg helfen.
Den Bildausschnitt zu bestimmen erscheint mir bei Orchestern als eine besondere Herausforderung: Ein guter Ansatz ist, sich an dem jeweiligen Satz – Klarinetten, Flöten, Tuben, Schlagwerk usw. – zu orientieren und überschaubare Kleingruppen der jeweiligen Instrumentengattung zu wählen.
Gleichwohl bleibt die Totalaufnahme des möglichst gesamten Orchesters eine Pflichtübung von Seiten des Auftraggebers. Die klassische Aufnahmeposition vor der Bühne bietet dabei freilich wenig kreativen Spielraum; es entsteht allenfalls ein gewünschtes Zeitdokument, das aber durchaus seine Berechtigung hat. Die etwas anspruchsvollere Übersichtsaufnahme dagegen kann durchaus ein Abschnitt sein: Das untere Bild zeigt bewußt nur einen Teil des gesamten Orchesters. Die Idee war hier, den Dirigenten mit einzubeziehen. Damit dies wirkungsvoll gelang, achtete ich auf die Bewegungsabläufe seiner Hände. Anscheinend eine Kleinigkeit, auf den ersten Blick nebensächlich erscheinend. Aber für mich die entscheidende Motivation für diese Aufnahme. Da sich ja die übrigen Bildelemente kaum veränderten, konnte ich den richtigen Moment abpassen und am Ende aus einer kleinen Serie von drei Aufnahmen das geeignetste Bild auswählen.
Den Satz der Tuben zu fotografieren, stellte mich vor die Aufgabe, wuchtige, schwere Instrumente gekonnt ins Verhältnis zu vergleichsweise zarten Köpfen und Gesichtern zu setzen. Menschen und Instrumente lassen sich aus Platzgründen innerhalb der Satz-Gruppe selten vollständig isoliert ablichten. So ist auch hier wieder der Ausschnitt mit Bedacht zu wählen: Es muss gelingen, die jeweiligen Musikantinnen und Musikanten so mitsamt ihren Instrumenten einzufangen, dass ein aussagekräftiger Bezug zwischen Mensch und Instrument, oder besser ausgedrückt, zwischen Mensch und seiner Freude an der Musik rüber kommt. Wichtig erscheinen mir dabei der Gesichtsausdruck, der konzentriert oder Freude ausstrahlend wirken kann und das was die Hände am Instrument machen.
Fotografische Pflicht und Kür machen die Geschichte rund
In der Regel läuft der Fototermin mit meinem Orchester in zwei Hauptteilen ab: Im ersten Teil versuche ich möglichst vollständig, von den Auftraggebern erwartete Pflichtaufnahmen hin zu bekommen, so dass jeder der Aktivisten wenigstens auf einem Bild gut dargestellt ist. Das sind sowohl etliche Totalen, die ganze Teile des Orchesters wiedergeben, als auch Gruppenbilder der einzelnen Sätze.
Nach der Halbzeitpause beginnt dann für mich meistens die Kür. Das sind viele Einzelporträts, eigenwillige Perspektiven und Bildkompositionen mit Schärfe / Unschärfe und Details von Musikinstrumenten. Aber auch das kommt gut an.
Bei sehr raschen Bewegungsabläufen, die meistens an den Schlagwerken als fotografische Herausforderung warten, kann man seine eigene Reaktionsfähigkeit schön testen. Denn selbst mit der motorgetriebenen High-Speed-Digitalkamera bei Dauerauslösen und -blitzen lässt sich eine Situation, bei der es auf den Moment eines Sekundenbruchteils ankommt, vermasseln und man hat am Ende eine Ausschussserie. Ich bin in solchen Situation mittlerweile davon abgekommen, die Kamera auf Dauerbetrieb zu schalten. Ich belasse es beim Einzelbild-Schuss und konzentriere mich lieber selber auf den entscheidenden Sekundenbruchteil. Ich hatte bei dem Musikstück in diesem Beispiel drei Versuche, einer gelang auch, sogar der erste.
Bei einem Konzert junger Nachwuchs-Jazz-Musikerinnen und -Musikern zu Ehren von Kurt Maas im Gasteig in München, war mein Sitzplatz in der ersten Reihe, mittig vor der Bühne, Fluch und Segen: Meine Position konnte ich nicht verändern, ich mußte mit der eher ungünstigen, stets gleich steilen Perspektive nach oben gerichtet, Vorlieb nehmen. Immerhin hatte ich während des Konzerts stets freie Sicht auf das wechselnde Bühnengeschehen.
Stimmungsvolles Seifenblasenbokeh
Nicht nur bei Konzertfotografie, aber insbesondere bei Porträtfotografie hat ein Stilmittel derzeit Hochkonjunktur, das im Grunde auf einen optischen Fehler des jeweils verwendeten Objektivs basiert: Das sogenannte Seifenblasenbokeh: Fokussiert man bei möglichst ganz offener Blende eines lichtstarken Objektivs, z.B. auf das Gesicht, vorzugsweise die Augen seines Modells und gehen dabei vom Hintergrund in seiner natürlichen Unschärfe mehr oder minder starke Lichtreflexe aus, so sieht man letztere als ‚Seifenblasen‘. Diese schwirren dann häufig um die Köpfe der abgelichteten Personen herum, was gemeinhin als ein angenehmes Bokeh verstanden wird. Ich empfinde diesen aufgesetzten, wiederkehrenden Effekt eher als störend, da er meistens vom eigentlichen Bildinhalt ablenkt und kaum eine individuelle fotografische Handschrift erkennen lässt.
Glücklicherweise kommt mir entgegen, dass meine Leica-M-Objektive, die ich häufig auch an meine Digitalkamera adaptiere, von diesem Fehler weitgehend befreit sind. Es gibt übrigens sogar Objetiv-Manufakturen wie Meyer Optik Görlitz, die ihre Gläser gezielt auf die Seifenblasen-Haptik bei offener Blende und somit auf eine optische Unzulänglichkeit hinkorrigierten und diesen Effekt auch kräftig bewerben. Auch günstige Spiegeltele-Objektive, im Volksmund „Russentonne“ genannt, erzeugen ein Seifenblasenbokeh. Wenn Du Dich eingehender mit der in sich sehr interessanten Thematik Objektiv-Bokeh befassen möchtest, empfehle ich diesen Wikipedia-Beitrag zu Bokeh.
Schwarzweiß-Techniken
Konzertfotografie wird gerne, zu recht wie ich finde, mit Schwarzweiß-Fotografie assoziiert. Und in der Tat ist es für mich einfacher, die zuvor genannten Anforderungen an meine Konzertfotos in Schwarzweiß-Aufnahmen umzusetzen.
Arbeite ich digital, was bei Aufträgen unerlässlich ist, entwickle ich meine RAW-Dateien mit Capture One und bearbeite in Affinity Photo gegebenenfalls nach. Von geeigneten Motiven erstelle ich Varianten in Farbe und schwarzweiß; meistens erhält der Auftraggeber beides von mir. Das ist bei Details und Porträts häufig der Fall, während die Übersichtsaufnahmen eher in Farbe bleiben.
Ein entscheidender Vorteil der Digitalfotografie ist die einfache Möglichkeit, das Bild in Schwarzweiß zu konvertieren. Dabei kann man die einzelnen Farbkanäle individuell aussteuern. Beispielsweise kann ich die Helligkeit (auch Grauwert) einer eigentlich grünen Weste über den Farbregler in Capture One individuell festlegen. Das ist übrigens auch mit anderen Programmen wie Adobe Lightrool Classic CC oder Skylum Luminar möglich. Zudem bietet Capture One einige vorgefertigte Monochrom-Einstellungen für die Schwarzweißkonvertierung an, die entweder schon das perfekte Ergebnis liefern oder manchmal auch Ausgangspunkt sind, für eigene, individuellen Nachbearbeitungen.
Meine Kamera und den Blitz konfiguriere ich so, dass überwiegend das Umgebungslicht die Bildwirkung bestimmt und die Blitz nur minimal aufhellt. Die intelligente Kamera-Elektronik erkennt dabei, ob das Umgebungslicht ausreichend ist und der Blitz zwar abfeuert, aber kaum zur Belichtung beiträgt. Oder ob beispielsweise der Vordergrund eine Aufhellung vertragen und entsprechend die Blitzleistung dem Umgebungslicht angepasst würde.
Die ISO-Einstellung meiner Fuji X-T2 stelle ich bei Konzertfotografie auf 800 oder 1600 ein. Denn laut Expertenwissen von Fuji-Anwendern nimmt die Kamera ohnehin stets mit ISO 200 auf und interpoliert ordentlich, wenn höhere Werte gewählt werden. Das macht sie bei sehr guter Bildqualität, ohne dass ich ein merkliches Bildrauschen vernehme. Meine auf Fuji optimierte Capture-One-Version trägt wesentlich zur Ergebnisoptimierung bei. Dennoch möchte ich mit meiner eher konservativen Vorgehensweise alle Einstellungen selber im Griff behalten und der Automatik sowenig überlassen, wie gerade notwendig. In kritischen Beleuchtungssituationen passe ich die ISO-Einstellung schon mal nach oben an, regle aber danach sofort wieder auf einen möglichst niedrigeren Wert herunter.
Analog zu fotografieren ist immer noch ein wenig Pionierarbeit
Bin ich jedoch mit meiner Leica M6 mit einem 400 ISO-SW-Film vor Ort, muß ich mit dem vorhandenen Licht bei gegebener Filmempfindlichkeit zurecht kommen. Daher messe ich wichtige Bilddetails (Gesichter, Instrumente) zuvor durch einen engeren Sucherausschnitt vor dem Auslösen an, soweit mir das möglich ist. Dabei nehme ich durchaus in Kauf, dass die Tiefen, wie etwa Kleidungsstücke der Porträtierten, völlig ohne Zeichnung sind; solange die Hauptsache (Gesichter, Hände und Instrumente) gut erkennbar bleiben.
Unbenommen ist, dass der digitale Workflow von der Aufnahme über die RAW-Datei bis zum fertigen Endprodukt, einer sauber ausgearbeitete Bilddatei, die sich auch im Druck oder als Fotoabzug sehen lässt, bei schwierigen Beleuchtungssituationen gegenüber der Analogfotografie im Vorteil ist.
Mache Menschen in Deiner Umgebung Freude mit Deinen Fotos
Promi-Konzerte zu fotografieren wird immer schwieriger – zumindest, wenn man Zutritt mit einer halbwegs professionellen Kameraausrüstung in die Konzerthallen begehrt. Das ist bei großen Konzertveranstaltungen aufgrund von Sicherheitsbestimmungen mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Dennoch gibt es natürlich immer noch, bei allen Verboten und Geboten die unzähligen Konzert-Fotos und -Filme, die via den kleinen Mobilgeräten in unseren Taschen den Weg ins Netz finden. Und ja auch nicht die schlechteste Promotion für die Künstlerinnen und Künstler darstellen. Aber das ist eine eigene bildnerische Klasse, die der Freude am Event gerecht wird und durchaus ihre Berechtigung hat.
Wenn Du jedoch bei Deiner Konzertfotografie einen kreativen, künstlerischen Anspruch suchst, möchte ich Dir empfehlen, Dich in Deinem lokalen Umfeld nach fotografischen Möglichkeiten umzusehen. Es findet sich erstaunlich viel oberflächlich fotografiertes Material in den sozialen Netzen, das allenfalls einem Spaßfaktor Genüge tut. Es gibt in der großen Bilderflut leider erschreckend wenig wirklich anspruchsvolle Fotos. Hier setzten Deine Möglichkeiten an, selbst mit einer mittelpreisigen Kameraausrüstung unter Beherzigen einiger meiner Tipps, Aufnahmen zu erzielen, die den Performenden auf der Bühne und deren Anspruch an ihre Musik auch fotografisch gerecht werden. Unter Deinen Lokalmatadorinnen und -matadoren wirst Du dankbare Abnehmer für Deine Bilder finden und selber viel Freude haben. Und Du bist immer nah dran. Viel Spaß wünscht Hermann Groeneveld